Stress



Stress kann die Sorgen um die eigene Gesundheit oder die von geliebten Menschen sein, um die Finanzen, um den Job. Oder Stress kann entstehen durch Isolation, Ungewissheit und Unsicherheit im Umgang mit einer schwierigen Situation.
Stress kann uns als Mensch, als Paar und als Familie schwacher und zerbrechlicher oder robuster und resilienter machen. Er kann zu einer Beziehungskrise führen oder Liebe vertiefen.

Notizen:

  • Stress ist subjektiv. Manche Menschen fühlen sich durch Situationen gestresst, die andere nicht als Stress empfinden. Wir entscheiden nicht, was Stress für unsere Partner ist und was kein Stress ist.
  • Psychische Probleme wie Depressionen oder Angststörungen werden durch Stress und Sorgen angefeuert.
  • Stress, der lange anhält und unvorhersehbar und extrem ist, kann uns sensibel machen.
  • Stress, der uns kontrollierbar erscheint, vorhersehbar und überschaubar ist, hilft uns Resilienz aufzubauen.
  • Eine Beziehung als „sicheren Rückzugsort‟ macht uns resilienter.
Ein sicherer Rückzugsort lindert Stress

Menschen sind soziale Wesen. Wir haben ein grundsätzliches Bedürfnis nach Zugehörigkeit zu einer Gruppe oder einem anderen Menschen (Baumeister & Leary, 1995). Wir bauen im Leben emotionale Bindungen auf und brauchen emotionale Zuneigung und Aufmerksamkeit – auch im Erwachsenenalter, und auch in einer Gesellschaft, die uns sagt, dass wir selber stark und groß sein müssen. Diese zwei Dinge – selber stark zu sein und emotionale Zuneigung zu brauchen und zu suchen – schließen sich nicht aus. Manchmal mehr unbewusst als bewusst, sehnen wir uns danach, uns aufgehoben zu fühlen, dass unser Partner für uns da ist, wenn wir ihn/sie brauchen. Wir sehnen uns im Leben nach Bindungssicherheit, nach einem „sicheren Hafen‟. Eine Beziehung als „sicheren Rückzugsort‟ zu dem wir nach einem stressigen Tag zurückkehren können und uns aufgehoben und gesehen fühlen, und in der wir Fürsorge geben und erfahren können.

Stress aktiviert unser Bindungssystem

Nun ist in den letzten Jahrzehnten viel geforscht worden darüber, was eine sichere emotionale Bindung kreiert und wodurch eine unsichere emotionale Bindung verursacht wird. Wie entstehen Beziehungen, in denen man sich wohlfühlt, wo Liebe sich entfalten kann, und wie entstehen Beziehungen, in denen Menschen sich alleine fühlen, sich im Schmerz finden, oder die Liebe abnimmt? Oft ohne es zu merken, achten wir ständig darauf, was für Signale wir von unseren wichtigen Bindungsmenschen bekommen: Sind es Signale von Liebe und Fürsorge? Sind wir wichtig und geliebt? Oder sind wir unwichtig, werden missachtet oder vergessen? Die Anzahl hier macht dann den Unterschied, das grundlegende Gefühl (Gottman, J. & Silver, N. 2014). Es gibt jedoch ein Faktor, der besonders einschneidend ist für das Gefühl von Bindungssicherheit oder Bindungsunsicherheit: Ein bedeutender Schlüsselfaktor hierbei ist STRESS. Beziehungsweise: unser Verhalten in Momenten, die für unseren Partner als Stress empfunden werden.

Grob gesagt, wird das Bindungssystem in unserem Gehirn in Momenten von Stress aktiviert. Das heißt, sobald wir uns gestresst fühlen, sind unsere Gefühle sehr wachsam zu dem, was Bindungspersonen tun: sind sie für uns da oder lassen sie uns im Stich? Viele Menschen sind darum gerade, wenn sie gestresst sind, sehr kritisch zu ihrem Partner – nicht, weil sie den Partner nicht schätzen, sondern, weil sie ihn brauchen und es nicht genau ausdrücken können.

Nach Mikulincer und Shaver (2003) entstehen Bindungsbeziehungen bei Erwachsenen durch wiederholte Aktivierung des Bindungssystems, das häufig durch Stress ausgelöst wird. Wenn eine Bezugsperson emotional verfügbar und ansprechbar ist, wird die unmittelbar bevorstehende Belastung gelindert und es entsteht ein Gefühl der Sicherheit (Sroufe & Waters, 1977).

Stress als Katalysator für eine tiefe und sichere Bindung

Momente von Stress wirken sich extrem darauf aus, ob wir uns sicher oder unsicher fühlen. Wir können lernen, dass wir unserem Partner vertrauen können oder wir können lernen, dass wir unserem Partner nicht vertrauen können. Die gefühlte Liebe kann dann zu nehmen oder abnehmen. Stress ist sozusagen ein Katalysator für Bindungssicherheit oder Bindungsunsicherheit, es kann unseren Bindungsstil ändern oder weiter verfestigen.

Sich dann nochmals in den Sinn zu rufen, was der Grundbaustein von einer sicheren und warmen Beziehung ist, kann uns in solchen Zeiten vielleicht helfen, zum Beispiel nicht in die sehr häufige Falle zu treten, in einem Schlüsselmoment unseren Partner zu vergessen und unser Beziehungsglück dadurch auf das Spiel zu setzen, ohne das zu merken oder zu wollen. [Notiz: die meisten Beziehungsverletzungen sind nicht intentional.]

Die gute Nachricht ist, dass wenn wir wissen, wie wichtig diese Momente sind, dann können wir ungewollte Bindungsverletzungen vermeiden und unsere Bindung mit unserem Partner stärken.

Image

Du warst nicht für mich da
Bis in den 1980er Jahren wurden werdende Väter oft zu der Geburt ihres Kindes im Krankenhaus nicht zugelassen. Eine Geburt ist eine bedeutende Stresssituation für eine Frau, die mit heftigen Schmerzen und oft großen Ängsten einhergeht. Natürlich war es nicht die Schuld der werdenden Väter, dass sie nicht für ihre Frau da sein durften. Hinterher wurde dann festgestellt, dass die emotionale Auswirkung der – unverschuldeten – Abwesenheit der Väter sich auf die Gefühle der Mütter als Bindungssicherheitsverlust ausgewirkt hat. Eltern mussten das Vertrauen dann erst wieder aufbauen. Mütter haben sich in einem emotionalen Schmerz ihrem Mann gegenüber befunden, ohne zu verstehen warum. Das Trauma darunter war: „Du warst nicht für mich da, ich hätte dich gebraucht‟.

Ein Beispiel aus dem Gebiet der Freundschaft
Die emotionale Bindung ist zwischen Soldaten, die zusammen den Krieg erlebt haben oft extrem stark. Jahre später fühlen sie noch eine extrem starke Zugehörigkeit und Bindung zu ihren Kollegen.

Hat dir der Beitrag gefallen?