Wir (65 und 69) haben uns vor drei Jahren kennengelernt, sind zusammengekommen, aber inzwischen schon mehrfach auseinandergegangen. Während der Trennungsphasen sucht er weiterhin den Kontakt und den Austausch, während ich mich abgrenze, zurückziehe und Begegnungen einschränke. Mein Partner beschreibt sich selbst als schwermütig und mich als „aus dem Paradies kommend“, wobei er mir vorwirft, die Dinge schönzureden. Ich habe zunehmend Schwierigkeiten, seine negative Sichtweise zu ertragen, obwohl mir bewusst ist, dass in der Welt vieles negativ läuft. Besonders vermisse ich die körperliche Nähe zwischen uns. Auch mit meinem bunten Familiensystem tut er sich schwer, was ich zwar nachvollziehen kann, aber auch für mich belastend ist. Manchmal frage ich mich, ob es nicht einfacher wäre, wenn wir uns auf eine Freundschaft beschränken würden.
Kann sich eine Liebesbeziehung in eine freundschaftliche Beziehung wandeln?
Einander mit Gefühlen nicht allein lassen
Vielen Dank für Ihre Offenheit und das Teilen Ihrer Gedanken und Gefühle. Ihre Frage ist sehr wichtig und berührt ein grundlegendes Thema in zwischenmenschlichen Beziehungen – sei es in der Liebe oder in der Freundschaft.
Aus der Bindungstheorie wissen wir, dass der Kern jeder erfüllenden Beziehung darin liegt, sich emotional gesehen, gehört und unterstützt zu fühlen. Ein zentraler Gedanke ist dabei: „Einander mit Gefühlen nicht allein lassen.“
Das bedeutet, dass es in einer Liebesbeziehung genauso wie in einer Freundschaft entscheidend ist, füreinander da zu sein – insbesondere in Momenten emotionaler Verletzlichkeit oder Unsicherheit. Es geht darum, dem anderen das Gefühl zu geben: „Ich bin hier, ich sehe dich, ich höre dich, du bist mir wichtig und ich kenne diese Gefühle auch.“
In Ihrer Beschreibung klingt an, dass Sie und Ihr Partner in manchen Bereichen Schwierigkeiten haben, diesen emotionalen Raum füreinander zu schaffen. Sie ziehen sich zurück, wenn er auf Sie zukommt, während er vielleicht in seiner „Schwermut“ emotional schwer zugänglich erscheint. Das kann dazu führen, dass sich beide alleine mit ihren Gefühlen fühlen – trotz der Verbindung, die zwischen Ihnen besteht.
Eine Wandlung von einer Liebes- zu einer Freundschaftsbeziehung könnte durchaus funktionieren, wenn Sie beide bereit sind, weiterhin eine emotionale Verbindung aufrechtzuerhalten. Freundschaften – genauso wie Liebesbeziehungen – basieren auf gegenseitigem Verständnis, Respekt und der Bereitschaft, einander in schwierigen Momenten emotional nicht allein zu lassen.
Vielleicht könnte es hilfreich sein, mit Ihrem Partner gemeinsam zu überlegen, wie Sie miteinander umgehen möchten – unabhängig davon, ob Sie Ihre Beziehung romantisch oder freundschaftlich gestalten. Eine Möglichkeit könnte sein, sich offen auszutauschen, welche verletzlichen Gefühle und Bedürfnisse Sie beide haben, und zu prüfen, wie Sie sich gegenseitig unterstützen können, ohne dass einer von Ihnen sich zurückziehen oder überwältigt fühlen muss.
Der Schlüssel ist, weiterhin für den anderen emotional zugänglich zu sein. Wenn dies gelingt, kann sowohl eine tiefe Freundschaft als auch eine Liebesbeziehung wachsen – und vielleicht sogar zu einer neuen Form von Nähe führen, die beiden gut tut.
Wir wünschen Ihnen und Ihrem Partner, dass Sie gemeinsam einen Weg finden, sich gegenseitig mit Ihren Gefühlen nicht allein zu lassen.
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